EOS RP – kompakte Spiegellose im Vollformat

Markt und Praxis – ein Kommentar

Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten aktueller APS-C-Systemkameras gilt das vollmundig „Vollformat“ genannte Format, das euphemistisch das alte Kleinbildformat umschreibt, als die Königsklasse digitaler Lichtbildapparaturen. Während in vordigitaler Zeit das Filmmaterial immer kleiner wurde, sich von der großformatigen Fotoplatte über den mittelformatigen Rollfilm hin zum kleinformatigen Kinefilm entwickelte, ging der Verlauf beim digitalen Sensor in umgekehrter Richtung. Die Industrie und die ihr dienstbare Werbebranche nahm es wohlwollend in ihr Vokabular auf. Inzwischen gibt es bei Hasselblad, Fujifilm und einigen wenigen anderen auch den Mittelformatsensor, aber für den Profi ist ein Aufnahmemedium in den Maßen von 36x24mm das Maß der Dinge. Wer sich heute auf einer Hochzeit mit einer APS-C-Knipse blicken lässt, hat in den Augen mancher besserwisserischer Hobbyisten unter den Gästen bereits verloren.

Canon EOS 1DX + EF70-200mm/F2,8, komplett 2,5kg für nur 4850,-€

Marken- und Erkennungszeichen des professionellen Lichtbildners waren bis in die jüngste Zeit echte Boliden mit nach Möglichkeit cremeweißen L-Objektiven, deren Anschaffungspreis in die Tausende geht. Unter einer Canon EOS 5D, besser noch 1D, oder dem entsprechenden Pendant aus dem Hause Nikon ging da nix. Bis heute trifft man Vertreter der Zunft, die teils verständnisvoll lächelnd, teils verächtlich Nase rümpfend auf den Knipser mit seiner neumodischen Systemknipse herabsehen.

Canon hat spät auf den Systemtrend gesetzt, und das zunächst mit bescheidenen Ergebnissen, ging es doch darum, die gerade neu entwickelten DSLRs von der EOS 90D über das Pixelmonster EOS 5D RS bis hin zum aktuellen Superschwergewicht der 1 DX gewinnbringend zu vermarkten. Allein, die Kundschaft wanderte zu anderen Marken ab, was den Konzern mit der grausamen Realität der regulierenden Kräfte des Marktes konfrontierte. Inzwischen hat Canon aufgeholt und präsentiert eine ganze Palette an Spiegellosen, unter denen sich auch diverse Vollformatler tummeln.

EOS RP + 24-105mm Kit-Ojektiv: ca. 850g

Mit der EOS RP brachten die Konstrukteure 2019 ein Gerät heraus, dass in seiner Kompaktheit bei geringem Gewicht einer leichten Crop-Kameras in nichts nachsteht. Dabei fielen die Tests und Anwenderberichte nicht gerade positiv aus. Der Apparat wirkt mit seinem Plastikgehäuse, seinem nicht vorhandenen Schulterdisplay und seiner spartanischen Ausstattung irgendwie billig. Und das ist er letztlich auch. Mit einem aktuellen Preis von 1099,-€ bei Mediamarkt/ Saturn (Stand September 2023*) inklusive Kit-Objektiv 24-105mm ist dieser Fotoapparat für den Amateurbereich vorgesehen. Nach dem überragenden Erfolg der APS-C-Systemlinge will man die zahlungskräftigen Vatis wieder ins Vollformat locken, verspricht doch die parallele Vermarktung hochwertiger (und teurer) RF-Objektive eine schöne Portion Extraprofit.

EOS RP vs. EOS 6D

Doch wie man es auch bei anderen Branchen beobachtet, ergibt sich aus der Bereitstellung sogenannter Einsteigergeräte eine ganz eigene Dynamik. Wir kennen es aus der Vergangenheit, wo derlei Vorgehen Exemplare mit eigenem Charakter hervorbrachte. Curt Cobian (†1994) pushte ungewollt die ungeliebten Offset Fender Jaguars, weil sie in den Pfandleihhäusern und Second Hand Shops für kleines Geld zu haben waren. Leslie West (†2020) verhalf der billigen Les Paul Junior zu ungeahnter Popularität, einfach, weil er sie mochte. Ähnlich könnte es der EOS RP ergehen. Ein Youtuber brachte es auf den Punkt: Das Ding macht einfach Spaß!

24mm, f5-1/25s, ISO 3200

48mm, f5-1/30s, ISO 3200

105mm, f7,1-1/15s, ISO 3200

Fotos: unbearbeitete JPGs, Neue Wache Berlin (Innenraum)

Das Genörgel an Linienpaaren und Dynamikeinbußen, schwächelnder Lichtstärke beim Kitobjektiv und angeblichem Rauschen bei ISO ü3200 erwies sich in der Praxis als Jammern auf hohem Niveau. Kommt man mit den Einschränkungen klar und weiß mit ihnen umzugehen, liefert die RP nicht schlechter als andere Knipsen und wiegt dabei ein Bruchteil dessen, was sich berufsmäßige Lichtbildner gemeinhin um den Hals hängen. Zudem ist ein passender Objektivadapter von Canon für die alten EF-Linsen aktuell für unter hundert Euro zu kriegen. Von Meike kostet so ein Teil gerade mal ’n Fuffi. Im Inneren der RP werkelt der gleiche Sensor, der bereits in der EOS 6D MKII zu finden war. Immerhin besitzt die EOS RP diverse Dichtungen gegen schlechtes Wetter und kann endlich auch via Mikro-USB direkt aufgeladen werden, obwohl der Hersteller sogar ein passendes Ladegerät beigelegt hat. Zum Einsatz kommen die gleichen Akkus, die schon bei diversen Vorgängermodellen, wie der EOS 77D oder der 250D, Verwendung fanden. Angesichts des Energiehungers der RP empfiehlt es sich, mindestens einen davon in der Hosentasche dabei zu haben.


*) 888,-€ im Dezember 2023