Photographica

Da, wir wir sahen, so ziemlich jeder Gegenstand zum Sammeln taugt, nimmt es nicht wunder, dass schon bald nach der Erfindung der Fotografie Menschen daran gingen, Dinge zusammen zu tragen, die mit der Materie zu tun haben. Wie es darum im 19. Jahrhundert bestellt war, wissen wir nicht genau. Sicherlich bezog sich die Tätigkeit insbesondere auf das Ansammeln von Fotografien. Immerhin waren die ersten Bilder, die nach dem Verfahren Daguerres entstanden, Unikate. Erst die Möglichkeit der Vervielfältigung, die Talbot etwa zeitgleich erfand und die kurz darauf schwer in Mode kam, machte es möglich, Aufnahmen von was auch immer jedermann zugänglich zu machen. Als die Emulsionen empfindlicher, die Objektive lichtstärker und die Kameraverschlüsse präziser wurden, begannen Fotografen Porträtaufnahmen in Fotostudios anzufertigen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Carte de Visite groß in Mode, ein Porträtfoto im standardisierten Format von etwa 6×9 Zentimetern, dass bei Besuchen, Partys, Begegnungen jeder Art verteilt wurde.

Einige Lichtbildner spezialisierten sich darauf, berühmte Personen zu fotografieren und Handel mit den Bildchen zu treiben, die wiederum in speziellen Sammelalben eingeklebt werden konnten. Man stelle sich vor, noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wusste das gemeine Volk nicht, wie Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Wissenschaft genau aussahen. Die wenigsten hatten ein Konterfei von Ludwig XVI., Robbespierre, Mozart, Goethe oder wem auch immer je gesehen. Zeichnungen in der aufkommenden Presse waren allenfalls ein ungenügender Ersatz. Das änderte sich mit der Verbreitung der „Carte de Visite“. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden jährlich 400-500 Millionen Kärtchen erzeugt. Nach dem Tod des britischen Prinzengemahls Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha 1861 sollen über 70.000 Konterfeis verkauft worden sein. (Vgl.: Eder, Jodef Maria, Geschichte der Photographie, Bd.1, S. 437ff , Halle/ Saale, 1932)

Prinz Albert (Foto um 1861) Quelle: www.royalguide.nl

Wann die Sammelwut auf ältere Fototechnik überschwappte, lässt sich nicht genau bestimmen. 1971 versuchte Uwe Scheid, Ordnung ins Chaos zu bringen und die unterschiedlichen Photographica, so werden des Sammelns werte Objekte die Fotografie betreffend genannt, zu sortieren.(Vgl. Scheid, Uwe, Photographica sammeln, München 1971)

Abgenommen hat das Interesse an alten Fotos. In großen Ramschkisten finden wir sie auf den Trödelmärkten, die für manche Standbetreiber eine Alibi-Funktion für modernes Betteln ausüben.
Aktuell richtet sich der Fokus der Enthusiasten vor allem auf alte Kameras nebst Objektiven. Auch das eine oder andere Zubehör, Belichtungs- und Entfernungsmesser, Stative, Filmpatronen und mehr werden des Sammelns für würdig befunden. Die große Bucht ist ein eindrucksvoller Spiegel für diesen Sachverhalt.
Die Beschäftigung mit traditioneller Fotografie zieht es nach sich, dass eine funktionstüchtige Kamera benötigt wird. Ebay ist voll von Angeboten und zunächst stellt es sich als preisgünstiges Ansinnen dar. Für wenige Euro bekommt man einen Apparat aus den 90er Jahren. Jedoch besteht hier der Unterschied lediglich im verwendeten Bildträger Film im Vergleich zum Sensor digitaler Apparate. Das Aufnameverfahren ist aktuell kaum anders, als vor 20 Jahren. Die Kameras konnten schon damals selbständig scharf stellen, die Belichtungszeit und Blende ermitteln und in Abhängigkeit zur Filmempfindlichkeit auf Auslöser und Objektiv übertragen. Freilich war eine manuelle Nutzung möglich. Allein das Scharfstellen war eine gewisse Herausforderung, da die Sucher nicht mehr über Fokussierhilfen wie Messkeile oder Fresnellinsen verfügten. Darüber hinaus wurden die Regelwege der Objektive deutlich kürzer konstruiert, als in Vor-AF-Zeiten, was den Vorgang zusätzlich erschwert. Aktuelle Digital-SLRs mit ihren vielen Kreuzsensoren geben einen Piepton von sich, wenn sie meinen, das Motiv sei scharf. Meist hat man Glück.
Es sollte also keine Vollautomatische von Minolta, Canon oder Nikon werden. Wenn schon „analog“ knipsen, dann richtig. Noch um 1990 besaß der Autor eine EXA 1, Baujahr 1964, die passable Bilder zuließ und die als treuer Begleiter auf den ersten, nun möglichen Reisen ins nichtkapitalistische Wirtschaftsgebiet (NSW) manche Erinnerung festhielt.
Die erste Praktica, die ersteigert wurde, war eine MTL-5. Keine 20,-€ kostete die Kamera inklusive Versand. Leider funktionierte beim mitgelieferten 135er Tele die Blende nicht. Erste Bekanntschaft mit einem der Hauptfehler bei alten Objektiven. Der Apparat roch mächtig nach Keller, schien aber offenkundig zu funktionieren. Selbst der Belichtungsmesser sprach nach Versorgung mit einer Batterie an. Na wenn es so einfach und günstig geht, so der Gedanke, dann ließe sich doch noch nach einem weiteren 135er schauen. Das war dann schon nicht mehr ganz so billig. Was mir damals nicht bewusst war, war, dass in diesem Moment die Sammelleidenschaft initialisiert wurde. Es folgte eine Praktica Nova für wenige Euro. Auch die zur Jahrtausendwende unglücklich verbummelte EOS 500 sollte wieder her. Fünf Euro zzgl. Versand, mehr musste nicht investiert werden. Der Verkäufer sprach von „wahrscheinlich defekt“. Nun – eine Batterie benötigt das Teil schon. Danach funktionierte sie wie am ersten Tag. Wer sich dem Sammeln von Photografica widmen möchte, sieht sich einem großen Feld gegenüber, dass es zu beackern gilt. Zu Beginn ist man sich nicht klar, was überhaupt alles gesammelt werden soll. Irgendwo war zu lesen, das nach Initialisierung der zukünftige Experte sein Sammelgebiet abstecken und eingrenzen solle, ein Ansinnen, das man getrost in den Bereich „grober Unfug“ verweisen dürfte. Zunächst, das lehrt die Erfahrung vieler Betroffener, die der Leidenschaft schon länger nachgehen, sammelt man drauf los, nimmt mit was zu kriegen ist, meist unter der Prämisse, dass es für den Anfang doch bitte schön preiswert sein sollte. Nach einigen Erfolgen stellen sich ebenso Misserfolge ein. Kameras und Objektive sind vom Anbieter bewusst oder aus Unkenntnis falsch beschrieben worden. Bestimmte Funktionen sind fehlerhaft. Die Abbildungen in den Auktionen waren verschwommen in unangemessener Umgebung. Zuweilen war überhaupt nur zu erahnen, um was für ein Schätzchen es sich handelte. Selbst manche gewerbsmäßige Händler rechnen scheinbar mit der Unkenntnis der Interessenten und bieten Artikel an, die nicht halten, was versprochen wurde.
Auf der sicheren Seite ist man, wenn der Anbieter ein Rückgaberecht einräumt. Erfahrungsgemäß sind auch die Beschreibungen bei jenen Händlern genauer und entsprechen meist den Tatsachen. Ein Blick in die Bewertungen hilft weiter, wenn es darum geht, Seriosität und Zuverlässigkeit zu ermitteln.
Es gibt jedoch auch eine unüberschaubare Anzahl von Privatiers, die nicht immer gleich Böses im Schilde führen, nur weil sie keine Ahnung haben. Manch einer hat im Nachlass eines lieben Verwandten ein altes Schätzchen gefunden. Mancher ist von einem älteren Menschen, der sein Hobby aufgibt, beauftragt worden, die Sammlung zu verscherbeln.
Zuweilen gibt es verdeckte Fehler, für die der Vorbesitzer nichts kann. So ersteigerte der Knipser eine Praktica, bei der sich erst nach Belichtung eines Filmes herausstellte, das der Bildschritt nicht stimmte. Beim ersten Testfilm war der Umstand nur wenig vorhanden, die Negative waren genau auf Kante belichtet. Schon beim zweiten Film kam es zu deutlichen Überlappungen und der dritte Film war kaum noch zu gebrauchen.
Man hüte sich vor Bemerkungen: „Da ich selber keine Ahnung habe…“. Ebenso verdächtig sind Verkäufer, die nichts zu ihrem Produkt schreiben oder sich auf Allgemeinplätze, wie „voll funktionsfähig“ beschränken.
Manch eine Kamera ist auch mit einem kleinen Fehler des Sammelns würdig, solange der Preis stimmt. Für 45 Euro bot ein Privatmann ein TTL-Prisma an, das sehr gut auf meine Praktisix passen sollte. Als Zugabe offerierte er eine defekte Pentacon Six. Ich brachte sie zum Kameraservice Ostkreuz. Reparaturkosten 100 Euro. Für 100 Euro kam ich zu einer tadellosen Six mit 12 Monaten Garantie. Nebenbei – der Sucher funktionierte.

Doch zurück zum Thema. Hat sich die Sammlung auf eine erkleckliche Anzahl würdiger Objekte vergrößert, kommt der Akteur unweigerlich an den Punkt, an dem alle Vitrinen längst gekauft und bestückt und alle Freiflächen vollgestellt sind. Nichts geht mehr. Jedes neu erworbene Exponat versetzt den Sammler in eine Situation akkuter Notwehr gegenüber sich selbst und, so vorhanden, gegenüber dem Lebensgefährt.
Die großen Online-Auktionshäuser, allen voran Ebay, haben uns gerettet. Hier lässt sich alles loswerden, was nicht mehr benötigt wird, uninteressant geworden, versehentlich erworben oder gar defekt ist. Irgendwen gibt es immer, der irgendetwas gebrauchen kann.
Einen Vorteil hat dieser Zustand. Man muss nichts mehr kaufen oder nur das, was man unbedingt schon immer mal haben wollte. Zuweilen gibt es etwas so unschlagbar günstig, dass man sich dem Neuerwerb kaum erwehren kann. Meist jedoch steht man vor den angehäuften Schätzen und erfreut sich daran, sollte man der pathologischen Sammelwut entgangen sein und den Trieb auf ein gesundes Maß beschränken können.