Praktica B-Serie

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Ende der Siebziger wollten es die Kamerabauer aus der DDR noch einmal wissen. Wiederholt hatte man versucht, Elektronik zur Erhöhung des Bedienkomforts in die Modelle zu integrieren. War die elektrische Blendwertübertragung bei der LLC noch Weltspitze, war die 1977 erschienene EE2 mit Zeitautomatik eher gehobener Durchschnitt. Spätestens mit der Canon AE-1 hatten die Japaner gezeigt, was Elektronik alles kann.

1979 brachte man mit der Praktica B200 eine Kamera mit Zeitautomatik und mit neuem (!) Bajonett. Endlich hatte man sich von dem überaus erfolgreichen, am Ende im Vergleich umständlichen M42-Schraubanschluß verabschiedet. Vielleicht hofften die Konstrukteure auf einen ähnlichen Erfolg, wie es Jahrzehnte zuvor das Exakta-Bajonett hatte, dass immerhin auch in japanischen Kameras (Topcon) verbaut wurde. Allein, die B-Reihe schaffte es nicht, zur japanischen Weltspitze aufzuschließen. In den Hinterzimmern von Nikon, Canon, Konica & Co wurde längst an vollautomatischen Komplettlösungen gefeilt.

Der Autofocus war längst erfunden (1977; Konica C35 AF). Canons A1( 1978) hatte eine flexible Belichtungsvollautomatic, Pentax (1981; ME F) und Nikon (1983; F3AF) holten schnell auf.
Währenddessen werkelte man in Dresden an der Haptik herum, brachte diverse abgespeckte Modelle auf den Markt oder vesuchte beinahe identische Versionen (siehe BC1) als Neuheit zu vermarkten. Nichts desto trotz ist die B200 eine zuverlässige Reisekamera, handlich, leicht, mit einer zeitgleich erschienenenen Auswahl qualtitativ hochwertiger Objektive. Auch im Bereich Zubehör ließ sich Pentacon nicht lumpen. Ein Motorwinder gehörte ebenso dazu, wie ein auf die Kamera abgestimmter elektronischer Blitz.


Zwei Jahre später brachte man die abgespeckte B100 heraus, einen Zeitautomaten ohne die Möglichkeit, die Belichtungszeit manuell einzustellen. Gemessen wurde bei Offenblende. Der Anwender war mit der Kamera sehr eingeschränkt, da der Belichtungsmesser den Lichtanteil in der Mitte des Suchfeldes abnahm. Der Wert konnte nicht eingefroren werden, um durch Ziehen des Suchers auf das gewünschte Motiv eventuelle Fehlbelichtungen zu korrigieren. Als Notnagel hatte der Fotofreund immerhin die Blitzsynchronzeit von 1/60s, die allerdings auch nur mit eingelegter Batterie funktionierte.

Wer also gern massiven Einfluss auf die Bildgestaltung nehmen wollte, war mit der großen Schwester B200 besser beraten. Parallel dazu gab es nach wie vor die Modelle der L-Serie. Die MTL-50 wurde bis 1989 gefertigt und wurde gehobenen Ansprüchen in jedem Fall gerechter. Die B100 kann ihren Status als Amateurknipse letztlich nicht verleugnen.
Heute sind es vor allem die Modelle mit genoppter Belederung, die bei Sammlern gefragt sind. Die ab 1983 gebauten Apparate mit glattem Bezug sind bisweilen für wenige Euro in der großen Bucht zu erhaschen.


Die Praktica BC1 (ab 1984) war in den wesentlichen Funktionen baugleich zur B200, einer Kamera aus volkseigener Produktion, die endlich eine elektronisch gesteuerte Zeitautomatik besaß, dabei für den Westmarkt durchaus attraktiv – klein, kompakt, zuverlässig u. v.a. billig. Man hatte sich sehr viel Mühe gegeben in Niedersedlitz, hatte sogar ein eigenes Objektivbajonett konstruiert und folgte so dem Inkompatibilitätswahnsinn asiatischer Marken (Penthax, Minolta, Canon, Nikon usw.) Zuvor gab es das M42-Schraubgewinde, das auf viele Kameras gleichermaßen passte.

Leider interessierte sich keiner für das neue ostdeutsche B-Bajonett, weshalb es wenig Objektive sogenannter Drittanbieter gab. Jedoch waren die Linsen einheimischer Produktion durchaus von zufriedenstellender Güte u. in den gängigen Brennweiten verfügbar.
Vorliegendes Modell ist die zweite Version erkennbar an der Rückspulkurbel aus Kunststoff. Es ist mit einem 1,4 lichtstarken Prakticar von Carl Zeiss bestückt, ebenfalls die zweite Version ab 1982 gebaut. Mit gerade 14.000 produzierten Einheiten war die Linse nicht gerade ein Topseller, kein Wunder, war sie doch mit über 800 Ostmark genauso teuer, wie der Kamerabody. Umso mehr erfreute es den Knipser, als ihm ein Bekannter den Apparat zur weiteren sachgerechten Verwendung auf den Tresen seiner Lieblingskneipe legte. Danke Alfred!


Die DDR war ständig hinter Westgeld her, nicht nur jeder Einzelne, sondern auch der Staat als Ganzes. Als Handelspartner war nicht nur der ungeliebte westdeutsche Bruder interessant, sondern andere Mitglieder des NSW (Nichsozialistisches Wirtschaftsgebiet) ebenso. Sowohl Prakticas als auch die Exaktas der früheren Zeit schafften es bis nach Amerika. Was den Ostdeutschen einen Vorteil verschaffte, war neben dem guten Ruf der Dresdner Fotoindustrie der Preis. Von mancher Baureihe wurden Sondermodelle angefertigt, die äußerlich attraktiv und oft mit einem anderen Namen versehen waren.

Die Praktica BCX (1983) ist baugleich zur BC1, besitzt jedoch verchromte Deck- und Bodenkappen und war für den englischen Markt konzipiert. Warum es immer wieder zu Namensänderungen kam, hat ganz verschiedene Gründe und ist nicht immer in Gänze zu erklären. Zum einen lag es daran, das westliche Marketingexperten andere Vorstellungen hatten, wie ein Produkt heißen muss, damit es sich erfolgreich vermarkten lässt. Zum anderen wäre es sicher deprimierend für DDR-Bürger mit Westkontakten zu sehen, zu welchen Dumpingpreisen die Kameras gehandelt wurden, die im eigenen Land oft mehr als ein Monatsgehalt kosteten.


Wenngleich Pentacon ab 1987 bereits eine zweite B-Reihe mit verbessertem Verschluss und verändertem Gehäuse am Start hatte, legten die Konstrukteure im März 1989 ein Sparmodell der alten Serie auf. Die Praktica BMS kommt ohne jegliche Belichtunsautomation aus. Alle Einstellungen muss der Anwender von Hand vornehmen.
Interessant ist das 2,4er Pancake Objektiv, das bereits 1968 vom Feinoptischen Werk Görlitz, also nicht Carl Zeiss Jena, patentiert worden war. Es handelt sich um einen Vierlinser ohne Baugruppenverkittung, der, lichtstärker als ein Tessar, lange nicht erscheinen konnte, weil Jena den Platz mit seiner Massenproduktion an Tessaren besetzt hielt.

Die Bauform ist sehr flach und passt verzüglich zur Kompaktbauweise der B-Reihe. Es war mit 275,- Mark das günstigste Kit-Objektiv mit diesem Bajonett und wurde, man glaubt es kaum, in sogenannter Gestattungproduktion in Rumänien hergestellt. Die Abbildungleistung ist besser als beim Tessar und auch die Haptik kann gefallen, was überdies eine Adaptierung an moderne DSLRs interessant macht. Heute kriegt man die Linse oft für unter 10€ in der großen Bucht. Testfilm war ein Agfa 400 – wenig Kontrast u. etwas Körnung.


Die Praktica BX20 war die letzte zu DDR-Zeiten neu entwickelte und ab 1987 produzierte Spiegelreflexkamera. Von der Ausstattung erinnert sie stark an die B200/BC1, hat aber einige ergonomische Veränderungen verpasst bekommen. In Dresden folgte man dem Trend zum reinen Kunststoffgehäuse, der durch japanische Hersteller gesetzt wurde. Haptisch wirkt die Kamera schlicht u. irgendwie billig. Kein Vergleich zur etwa zeitgleich erschienen Canon EOS650. Auch fehlt der BX20 sowohl die Belichtungsvollautomatik als auch der sich spätestens seit Anfang der 80er Jahre immer mehr durchsetzende Autofokus (PentaxME F, Nikon F3AF, Canon T80).

Man behielt das B-Bajonett bei. Der Verschluss war nochmals verbessert worden. Kleine Scharniere in den Titanlamellen sorgen für eine weichere Auslösung. Neu ist die erstmals in einer Dresdner Kamera eingebaute TTL-Blitzbelichtungssteuerung, die einen auch nicht gerade vom Hocker reißt, zumal das Patent bereits aus dem Jahre 1968 stammte. Aber man kann sich mit dem Apparat anfreunden, je öfter man ihn in die Hand nimmt. Die Belichtungssteuerung ist etwas gewöhnungsbedürftig, misst offenbar mehr punktuell in der Mitte, was zu Irritationen bei dunklen Motiven führt. Alles in allem ein kleiner Plastikbomber, der versucht, dem Zeitgeist zu folgen, dem man aber anmerkt, dass die große Ära der Marke Praktica längst Geschichte war.


Die Praktica BX20s war die allerletzte Praktica Spiegelreflexkamera. Konzipiert wurde sie in der Endphase der DDR-Fotoindustrie. Nur 37 Apparate sollen vor der Liquidation des Pentacon-Kombinates noch hergestellt worden sein. Ab 1991 übernimmt Schneider-Kreuznach den Markennamen und produziert bis 1993 weiter am Standort Dresden. Die Firma wurde mehrfach umbenannt, hieß zwischendurch sogar wieder Pentacon. Die letzten BX20s, die gar als „letzte Serie“ tituliert worden waren, verließen im Jahre 2001 das Werk.
Man hatte versucht, das Gehäuse nach modernen Anforderungen zu gestalten.

Die Formgebung war ergonomisch der Handhaltung angepasst worden. Auch sonst gab es eine ganze Reihe Verbesserungen, Verschluss, Sucher und Elektronik betreffend, die Vorstufen für Modelle hätten sein können, die allgemeinen Trends entsprachen. Pläne für Autofocus und Belichtungsvollautomatik lagen in den Schubladen. Allein, es brauchte sie keiner mehr. Die Menschen kauften Kameras von Minolta, Canon oder Nikon.
Jahrzehntelang hatte sich die DDR mit der sächsischen Kameraindustrie gebrüstet und wurde am Ende doch kleinlaut gegenüber der asiatischen Konkurenz. So blieb die letzte Praktica, eine Kamera, die allenfalls Amateurstatus besaß, eines der traurigen Kapitel der wechselvollen Geschichte des ehemaligen Aushängeschildes für die Leistungsfähigkeit ostdeutscher Feinindustrie. Für die Aufnahmen wurde ein 200er Fomapan getestet, was eine gewisse Körnung verursachte. Ausgedruckt auf Foto-Papier ergibt sich dadurch ein grafischer Eindruck besonderer Art.