Das Rode VideoMicro II
Seit der Digitalisierung der Fotografie übernehmen Kameras mehr und mehr die Funktion, die im letzten Jahrhundert von einer Minderheit verschrobener Hobbyisten geschätzt wurde. Wer das zweifelhafte Glück hatte, einen zumeist männlichen Verwandten ersten Grades zu besitzen, der bei jeder Gelegenheit die Anwesenden mit seiner Super-8-Kamera traktierte, um hinterher bei den Familientreffen zumeist stinklangweilige Stummfilmchen vorzuführen, der darf sich freuen, dass heute jedes mittlere Handy zu ungeahnten Leistungen in der Lage ist. Sogar Fernsehproduktionen für das Vorabendprogramm werden inzwischen mit dem Smartphone abgedreht.
Da dem Knipser jegliches Hantieren mit dem Handy unangenehm ist, lag es nahe, sich aus dem eigenen Kameraarsenal ein Filmemacher-Notfallbesteck zu konzipieren. Prinzipiell kann jede Digitalkamera bewegte Bilder erzeugen, die neueren Modelle sogar 4K oder noch höher auflösend. Der Schwachpunkt der Apparate ist die Qualität der Tonaufzeichnung, da, physikalisch bedingt, die internen Mikros nicht in der Lage sind, Tiefe, Dynamik und Lautstärke des Tonamaterials adäquat abzubilden. Inzwischen haben sich etliche Hersteller aus der MI-Branche1 der Thematik angenommen und bieten eine Vielzahl praktikabler Aufsteckmikrophone an. Der Konsument hat hier die Qual der Wahl, denn die Mannigfaltigkeit der Produkte erschwert es, einen Überblick zu bekommen.
Pionier auf dem Gebiet war die australische Marke RØDE, die in den 90er den wachsenden Homerecording-Markt mit hochwertigen Studiomikrophonen aus China beglückte. Der erste große Wurf war das NT-1, ein Großflächenmembran-Studiomikrofon, dass in modernisierter Form bis heute gebaut wird und zu den meistverkauften Mikros schlechthin zählen dürfte. Das kurz darauf erschienene NT-2 löste den Unmut des deutschen Großisten Neumann aus. Zu nah war die Optik an das legendäre U47 angelehnt. Die Deutschen klagten und bekamen Recht. Das RØDE NT-2 wurde eingestampft, um kurz darauf in einer unverfänglichen Verion angeboten zu werden. Beide Mikros gelten heute als Klassiker für den Recordingbereich. Neben der Digitalisierung der Aufnahmeverfahren sorgten preiswerte Mikrofone, die eine hohe Audioqualität erzeugten, für das Absterben mittlerer und kleiner Tonstudios, bzw. für die Entstehung gänzlich neuer Aufnahmeumgebungen. Was zuvor nur mit unsagbar teurem Studioequipment zu erreichen war, lässt sich im 21. Jahrhundert im heimischen Wohnzimmer realisieren.
Neben Aufsteckmikrofonen beachtlicher Qualität gebunden an eine gewisse Mindestgröße bietet RØDE kleine Helferlein für den Gelegenheitsfilmer an, die zu mehr als akzeptablen Ergebnissen führen. Die Wahl fiel auf das VideoMicro II, das mehr Tiefe und Dynamik in der Audiospur erzeugt, als der immer noch erhältliche Vorgänger. Zum Lieferumfang gehören ein Ploppschutz aus Schaumstoff und ein Windschutz, der in der Fachsprache Dead Kitten (totes Kätzchen) genannt wird.
Unlängst war es möglich, bei einem Konzert des geschätzen Boogie-Woogie-Pianisten Thoams Schulze das Mikrofon an der Fuji X-S10 zum Einsatz zu bringen. Das Audiomaterial ist in seiner Substanz für die gelegentlichen Anwendungen völlig ausreichend. Leider hoppste mir die ganze Zeit ein angetrunkener Herr vor der Linse rum, offensichtlich in provokativer Absicht. Daher ist die Kameraführung etwas unruhig. Auch der Autofokus hat zuweilen ein paar Probleme, was bei ruhigeren Motiven weniger auffällig sein dürfte. Ein wenig habe ich das Videomaterial mit der frei erhältlichen Software DaVinci Resolve nachbehandelt.
- MI = Musikinstrumente. Die Branche vertreibt seit Jahrzehnten neben Musikinstrumenten auch jegliches Zubehör für Beschallung und Recording. ↩︎
Dead Kitten