Canons schwerer Weg zurück
Es war nicht das erste Mal, dass Canon die Zeichen der Zeit übersah, wichtige Neuerungen schlicht verpennte und statt dessen an alten Konzepten festhielt. Erinnert sei an die halbherzige Umsetzung des Autofokus (T80) oder das Herausbringen der immer gleichen Plastik-Billigheimer mit neuen Namen statt Neuentwicklungen EOS 500, EOS 300, EOS 3000 usw. usf.. Nachdem sich Canon und Nikon über Jahrzehnte ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Weltspitze gaben, entwickelten sich im Windschatten andere Marken und gingen mit dem neuen Konzept der Spiegellosen an den Start. Sowohl Sensor- als auch Display-Technik waren inzwischen so weit entwickelt, dass es der Kontrolle des Motivs durch einen Prismensucher nicht mehr bedurfte. Panasonic und Olympus erkannten 2008 die Möglichkeiten, die sich aus der neuen Technologie ergaben. Sony und Fujifilm zogen nach und überholten die Pioniere. Man sah nicht nur, was man knipste, sondern auch was man als Ergebnis erhalten würde. Dank ultra-schneller Prozessoren und des immer stärkeren Einsatzes künstlicher Intelligenz gelang es, das entstehende Bild vor dem Auslösen in hochauflösenden Suchern bzw. auf entsprechenden Displays anzuzeigen. Nach halbherzigen Versuchen mit der M-Serie, die über kurz oder lang sterben wird, kam Canon erst vor fünf Jahren mit ernst zu nehmenden Vollformatlern, der R-Serie, um die Ecke. APSC-Kameras kamen noch später. Zunächst galt es, die „alten“ Spiegelreflexen zu Ende zu vermarkten, die bis heute gebaut, wenn auch wohl nicht weiter entwickelt werden..
Inzwischen hat Canon aufgeholt und verbaute in der R3, die die EOS 1D X (irgendwas) im Profisegment ablösen wird, den derzeit besten Autofokus mit Gesichter- und Augenerkennung, der zuverlässig und sehr schnell seine Arbeit verrichtet. Wie so oft wurde diese Errungenschaft nach unten durchdekliniert, so dass inzwischen auch die aktuellen APSC-Maschinen in den Genuss jener Technik kommen. Grund genug, sich umzuschauen, denn der kleinere Sensor birgt in der Straßenfotografie manchen Vorteil gegenüber den Vollformatknipsen.
Die EOS R10 ist aktuell (Okt. 2023) Canons zweitplatzierte APSC-Systemkamera nach der R7. Mit deutlich unter 1000 Euro zählt sie zum „Einsteigerbereich“, was immer das bedeutet. Nimmt man sie in die Hand, begegnet einem bemerkenswert viel Kunststoff. Man fühlt sich an die frühen 90er erinnert, als Canon mit den Nachfolgern der EOS 500 schonungslos auf billig setzte, ohne wirkliche Innovationen hervor zu bringen. Es galt, den Massenmarkt zu bedienen, um noch der letzten werdenden Mutti einen Fotoapparat in die Hand zu geben, das Nächstgeborene auf Zelluloid zu bannen, denn Smartphones gab es noch nicht. Die R10 ist alles andere als wertig. Wer eine Fujifilm oder eine von Nikons neuen Retro-Kameras sein Eigen nennt, weiß genau, was gemeint ist.
Allein, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Bildrauschen ist kaum noch Thema. Die EOS R10 harmoniert via Adapter genau wie die RP vorzüglich mit den alten Objektiven. Das ist auch notwendig, denn Canon hat bis jetzt sein RF-Bajonett für Drittanbieter gesperrt und eigene v.a. bezahlbare Objektive mit sinnvollen Lichtstärken sind bisher nicht vorhanden. Eine Blende 7.1 als „Offenblende“ zu bezeichnen (RF 24-105) ist schlicht eine Unverfrorenheit, wenngleich die Dinger für Stube-Kammer-Küche deutlich besser sind als die Kit-Linsen der Vergangenheit.
Dank der bewährten Canon-typischen Ergonomie und des ebenso typischen Bedienkonzepts macht die Kamera wirklich Spaß, erst Recht den altgedienten Canon-Usern, die sich bisher nur schwer von ihrer EOS 80D oder ihrer 6D MKII trennen konnten. Und die Bildqualität? Die ist professionell, da gibt es nichts zu nörgeln.