CCCP SLR

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Sie hätte die wichtigste Kleinbildkamera der Sowjetunion werden können, die Start von KMZ. Sie sollte das Flagschiff der sozialistischen Kameraproduktion sein und hatte viele Ansätze, die einer Profikamera der damaligen Zeit hätten gerecht werden können. Wechselsucher, Wechselobjektive, Blitzbuchsen, Schnellspanner, Hemmwerk und Verschlusszeiten von 1-1/1000stel Sekunde. Man hatte sich bei den deutschen Vorbildern einiges abgeschaut. Der Sucher ist der Praktina ähnlich, das Bajonett ebenfalls. Die Springblende hatte man der Exakta entlehnt. Der Auslöser ist rechts vorn positioniert wie bei Prakticas.

Standardobjektiv wurde ein Helios, Nachbau des Zeiss Biotar, mit dem auch heimische Zenits bestückt waren.
Allein, es wurde kein Zubehörprogramm aufgelegt. Es gab keine Objektive verschiedener Brennweiten, passende Wechselsucher nur Gerüchte halber. Die Kamera ist schwer und hat keinen Rückschwingspiegel, war demnach kurz nach ihrem Erscheinen bereits veraltet. So blieb das Projekt Start ein Rohrkrepierer und wurde 1964 ersatzlos eingestellt. In der DDR spielten russische Spiegelreflexkameras keine nennenswerte Rolle. Man hatte seine Praktica, Exa oder Exakta, und das meist ein Leben lang.


Neben den Zenits und der Start aus Krasnogorsk wurde in der UdSSR eine weitere Linie Spiegelreflexkameras gebaut, von denen die Kiev-60 sowie die Kiev-88 auch im Westen nicht unbekannt waren, handelte es sich doch um Mittelformatkameras, die für vergleichsweise kleines Geld zu bekommen waren. Insbesondere die anspruchsvolle 88er im Hasselblad-Design, ab 1984 gebaut, war sehr beliebt. Bereits nach dem 2. Weltkrieg hatte sich der Hersteller „Arsenal“ um die ukrainischen Versionen der Contax II und III verdient gemacht.

Ein gekuppelter Schaltkreis gestattet den Einsatz einer Belichtungsautomatik mit Verschlusszeitenpriorität, für den sie die Energie liefert. Die Blende wird automatisch ermittelt. Im Ergebnis sperrt der Verschluss im Automatikmodus, wenn es zu dunkel ist. Freilich bleibt dem Knipser die vollmanuelle Bedienung. Auch der Verschluss ist eine Eigenentwicklung. Es handelt sich um Metallplättchen in Form von Tortenstücken, die an ihrer spitzen Ecke auf einer Achse befestigt sind. Bei Auslösen drehen sie sich mit einem bestimmten Abstand zueinander. Die Größe des so entstandenen Schlitzes bestimmt die Länge der Verschlusszeit. Immerhin sind Zeiten bis zu 1/1000s machbar.

Weit weniger bekannt dürften die SLRs für’s Kleinbildformat sein. Die erste ihrer Art, die Kiev-10, wurde ab 1964 verkauft. (Evtl. 1965, die Aussagen im WEB divergieren etwas.) Sie war eine komplette Eigenentwicklung der Ukrainer und hatte viel Potential. Dabei war so ziemlich alles an ihr anders, als bei vergleichbaren Apparaten westlicher und erst recht japanischer Prägung. Das Dachkantenprisma ziert eine riesige, trapezförmige Selenzelle. Im Sucher sieht der Lichtbildner einen Zeiger ähnlich einer TTL-Messung. Allein, die Zelle ist nicht nur für die Belichtungsmessung zuständig.

Um die Übertragung der Blendwerte auf das Objektiv zu gewährleisten, hatte man sogar ein eigenes Bajonett entwickelt.
All das brauchte Platz. Der Apparat besitzt ein ausladendes, wuchtiges Gehäuse. Das Design muss aus heutiger Sicht dennoch mindestens als modern wenn nicht gar futuristisch angesehen werden. Die Bedienelemente sind unauffällig integriert. Die Blende wird nicht am Objektiv eingestellt, sondern an einem Rädchen an der Frontseite. Das Zeitenrad mit integrierter ISO-Einstellung ist versenkt angebracht. Der Schnellspanner befindet sich auf der Rückseite. Nicht weniger absonderlich gestaltet sich der Auslöser, der wie auf einer Schiene laufend vorn rechts angebracht ist.
Wie andere Kameras aus sowjetischer Produktion auch wirkt die Kiev-10 ein wenig „rappelig“. Das Bajonett und Auslöser haben etwas Spiel. Dafür arbeitet der Verschluss umso präziser. Den Druck auf den Auslöser quittiert die Kamera mit einem metallischen Klicken. Die Erschütterungen des Schwingspiegels und der Mechanik sind erfreulich gering.
Als Kit-Objektiv kam das bewährte Helios zum Einsatz. Auch Wechseloptiken ab 20mm Brennweite standen zur Verfügung. Die Kiev-10 ist die wohl innovativste Kamera aus der Sowjetunion, dabei groß, schwer, jedoch mit interessanten Lösungsansätzen.


Die Kiev-15 TEE war vom Aufbau der Kiev-10 sehr ähnlich. Sie hatte den gleichen „Torten“-Verschluss und besaß ebenfalls eine Belichtungsautomatik mit Verschlusszeitenpriorität. Weg fiel die markante Selenzelle. Die Kamera wurde von 1974-1980 gebaut und war in Westeuropa faktisch nicht vorhanden. Ihr absonderliches Äußeres, ihr absonderlicher Verschluss und ihr absonderliches Objektiv-Bajonett waren nicht markttauglich für den Westen. Dabei lässt sich mit dem Teil vortrefflich fotografieren. Wer sich auf die Atomatik nicht verlassen will, kann wie gehabt alles manuell bedienen. Der Belichtungsmesser mit interner Nadelanzeige gibt eine gute Hilfestellung. Der Verschluss läuft butterweich und das Objektiv bildet scharf, allerdings mit auffallend weicher Dynamik, ab.

Die skurilen Ausführungen des Schnellspanners und des Auslösers der Kiev 15 mussten internationalen Standards weichen. Allein, die Blendeneinstellung wurde nicht am Objektiv vorgenommen, sondern mittels eines Data-Rades neben dem Objektiv. Ein Taster auf der Kappe neben der Zeiteneinstellung ist schwer zu verstehen. Irgendetwas macht er, aber was genau, erschloss sich nicht, spielte für die fotografische Praxis auch weiter keine Rolle. Das Einfrieren der gemessenen Zeit erfolgt über den Auslöser. Man bewegt in bis zum Druckpunkt, was zeitgleich das Schließen der Blende bewirkt, wie in Zeiten, als es noch keine automatische Springblende gab. Das Knipsen macht wirklich Spaß und die Bilder katapultieren einen 45 Jahre zurück in die Vergangenheit.


Nach der Kiev-15, die der Kiev-10 sehr ähnlich, unterdessen jedoch mit zeitgemäßer TTL Messung, entfernte sich Arsenal vom eigenständigen Weg hin zu marktfähigen internationalen Trends. So sind die Modelle Kiev 17 – 20 feine Apparate, die dem gehobenen Amateurstatus zugerechnet werden dürfen. Ihr Design ist gefällig, ihre Ausführung robust und die Funktionsweise zuverlässig.
Als Bajonett kam ein Nikon-F-Anschluss zum Einsatz. Ob die Japaner hierfür um Erlaubnis gebeten wurden, ist nicht überliefert. Ein Fotofreund behauptete im Netz, das sei nicht der Fall gewesen.

Die Kameras seien ausschließlich in der Sowjetunion verkauft worden. Dagegen spricht die Beschriftung des Objektivs vorliegender Kiev-19, die in lateinischen Lettern ausgeführt wurde. Die Kamera löste 1984 das 17er Modell ab. Als 18er gab es vermutlich nur Prototypen. Leider hat die Kiev-19 als kürzeste Verschlusszeit lediglich 1/500stel Sekunde zur Verfügung und nähert sich damit den Massenkameras von KMZ an. Die TTL-Messung wird über zwei blinkende Leuchtdioden im Sucher abgeglichen – nicht besonders schick, aber brauchbar. Dank des Bajonetts stehen dem Kiev-Besitzer heute eine große Auswahl an teils recht hochwertigen Linsen von Nikkor und einigen Drittanbietern, Sigma, Tokina u.a., zur Verfügung.


Die Kiev-60 ist neben ihrem Vorgänger Kiev-6S wohl die größte Mittelformatkamera im SLR-Diesign. Alle anderen Vertreter, Reflex– und Meisterkorelle, Pentacon Six oder Exakta 66, können nicht mithalten. Normale Kleinbildkameras, selbst die nicht gerade zierliche Praktica L-Reihe, nehmen sich vergleichsweise winzig neben solch einem Brocken aus der ukrainischen Hauptstadt aus. 1978 hatte Arsenal den ersten Boliden, die 6S (kyrillisch 6C), vorgestellt, der hinsichtlich Qualität und Zuverlässigkeit nicht überzeugen konnte. Überdies befand sich der Auslöser auf der linken Seite, eine Option, mit der sich bestenfalls Exakta-Besitzer anfreunden konnten. 1984 brachten die Ukrainer mit der Kiev60 eine überarbeitete Version heraus, die hinsichlich Ausstattung und Zubehör mit ihrer Verwandten aus der DDR mithalten konnte.

Der Objektivanschluss war wie beim Vorgänger das P-Bajonett geblieben. So konnte der Anwender auf eine stattliche Anzahl hochwertiger Zeiss-Objektive zugreifen. Nebenbei waren die Linsen Made in U.S.S.R. viel besser, als ihr Ruf. Jupiter, Arsat, Zodiak stellten Brennweiten von 30 bis 250mm zur Verfügung. Freilich handelte es sich in der Regel um Nachbauten berühmter Vorbilder, die immerhin zufrieden stellende Ergebnisse lieferten. Insbesondere das 30mm Arsat ist es wert, genauer betrachtet zu werden (s. Objektive ). Wie bei der Pentacon Six ist der Sucher auswechselbar. Ein TTL-Prisma mit innerer Leuchtdioden-Anzeige schafft Sicherheit beim Belichten. Im Gegensatz zu den Objektiven sind die Sucheraufsätze zur Six nicht kompatibel.

Größenvergleich Kiev 60 – Praktica MTL 50